Johannes Mario Simmel

Es muß nicht immer Kaviar sein





»Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, aber
keinen Salat«, sagte Thomas Lieven zu dem schwarzhaarigen Mädchen mit
den angenehmen Formen.
»Jawohl, gnädiger Herr«, sagte Kitty. Sie sagte es ein wenig atemlos, denn sie
war fürchterlich verliebt in ihren charmanten Arbeitgeber. Und mit verliebten
Augen sah sie Thomas Lieven an, der bei ihr in der Küche stand.
Über seinem Smoking nachtblau, mit schmalem Revers - trug Thomas
Lieven eine Küchenschürze. Inder Hand hielt er eine Serviette. Inder Serviette
befanden sich die zarten Blätter von zwei bildschönen Salatköpfen.
Was für ein Mann, dachte das Mädchen Kitty, und ihre Augen glänzten. Kittys
Verliebtheit rührte nicht zuletzt daher, daß ihr Arbeitgeber, Herr über eine Villa
mit vielen Zimmern, sich so selbstverständlich in ihrem Reich, der Küche, zu
bewegen verstand.
»Salat richtig anzurichten ist eine fast schon verlorene Kunst«, sagte Thomas
Lieven. »In Mitteldeutschland wird er süß zubereitet und schmeckt wie ver-
dorbener Kuchen, in Süddeutschland sauer wie Kaninchenfutter, und in Nord-
deutschland benutzen die Hausfrauen sogar Salatöl. 0 heiliger Lukullus!
Türschlösser sollte man behandeln mit diesem Öl, aber nicht Salat!«
»Jawohl, gnädiger Herr«, sagte Kitty, immer noch atemlos. In der Ferne
begannen Kirchenglocken zu läuten. Es war 19 Uhr am 11. April 1957.
Der 11. April 1957 schien ein Tag zu sein wie jeder andere. Nicht so für Thomas
Lieven! Denn an diesem Tag wähnte er, mit einer wüsten, gesetzesfeindlichen
Vergangenheit abschließen zu können. An diesem 11. April 1957 bewohnte
Thomas Lieven, kurz vorher 48 Jahre alt geworden, eine gemietete Villa im
vornehmsten Teil der Cecilien-Allee zu Düsseldorf. Er besaß ein ansehnliches
Guthaben bei der »Rhein-Main-Bank« und einen Luxussportwagen deutscher
Fabrikation, der 32000 DM gekostet hatte.

  


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