Stephen King

The Stand




»Sally.«
Ein Grummeln.
»Wach jetzt auf Sally.«
Ein lautes Grummeln: Laß mich schlafen.
Er schüttelte sie heftiger.
»Wach auf. Du mußt aufwachen!«
Charlie.
Charlies Stimme. Er rief nach ihr. Wie lange schon?
Sally schwamm aus dem Schlaf empor.
Zuerst blickte sie auf die Uhr auf dem Nachttisch und stellte
fest, daß es Viertel nach zwei morgens war. Charlie hatte hier gar nichts
verloren; er müßte im Dienst sein. Dann sah sie ihn zum ersten Mal richtig
an, und irgend etwas schoß in ihr hoch, eine tödliche Intuition.
Ihr Mann war leichenblaß. Seine Augen waren aufgerissen und
quollen aus den Höhlen. Er hatte die Autoschlüssel in einer Hand. Mit
der anderen schüttelte er sie immer noch, obwohl sie die Augen
aufgeschlagen hatte. Es war, als hätte er die Tatsache, daß sie wach war, gar nicht
registriert.
»Was ist denn, Charlie? Was ist los?«
Er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Sein Adamsapfel
hüpfte sinnlos; außer dem Ticken der Uhr war in dem kleinen
Firmenbungalow kein Laut zu hören.
»Brennt's?« Eine dämliche Frage, aber eine andere Erklärung für
seinen merkwürdigen Zustand wollte ihr nicht einfallen. Sie wußte,
seine Eltern waren bei einem Hausbrand ums Leben gekommen.
»In gewisser Weise«, sagte er. »In gewisser Weise ist es
schlimmer. Du muß dich anziehen, Liebes. HoI Baby LaVon. Wir müssen hier weg.«
»Warum?« fragte sie und stand auf. Schwarze Angst hatte sie gepackt.
Alles war auf einmal so merkwürdig. Es war wie ein böser Traum.
»Wohin?
In den Garten ?« Aber sie wußte, er meinte nicht den Garten.
Sie hatte Charlie noch nie so ängstlich gesehen. Sie holte tief Luft, konnte
aber keinen Rauch und kein Feuer riechen.
»Sally, Liebes, stell keine Fragen. Wir müssen weg. Weit weg.
Hol Baby LaVon und zieh sie an.«
»Aber soll ich... haben wir Zeit zu packen ?«
Das schien ihm Einhalt zu geben. Ihn irgendwie aus dem Geleise
zu bringen. Sie hatte gedacht, ihre Furcht könnte nicht mehr größer
werden, aber sie hatte sich geirrt. Was sie bei ihm für Angst gehalten
hatte, kam eher nackter Panik gleich; das wurde ihr jetzt klar. Er strich sich
abwesend mit einer Hand durchs Haar und antwortete: »Ich weiß nicht. Ich muß
erst die Windrichtung prüfen.«
Mit dieser bizarren Bemerkung, die sie überhaupt nicht begrift,
ließ er sie frierend und ängstlich und verwirrt barfuß in ihrem
Baby-Doll-Hemdchen stehen.
Es war, als hätte er den Verstand verloren.



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