Thomas
Mann
Buddenbrooks

Erstes Kapitel
- »Was ist das. - Was - ist das . . . «
- »Je, den Düwel ook, c'est la question, ma tres
chere demoi-
- seile!«
- Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter
- auf dem geradlinigen, weißlackierten und mit einem
goldenen
- Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb
überzogen
- waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armses-
- sel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe,
die der
- Großvater am Fenster auf den Knien hielt.
- »Tony ! «sagte sie, »ich glaube, daß
mich Gott-«
- Und die kleine Antonie, achtjährig und zartgebaut, in
einem
- Kleidchen aus ganz leichter changierender Seide, den hübschen
- Blondkopf ein wenig vom Gesichte des Großvaters
abgewandt,
- blickte aus ihren graublauen Augen angestrengt nachdenkend
- und ohne etwas zu sehen ins Zimmer hinein, wiederholte noch
- einmal: »Was ist das«, sprach darauf langsam: »Ich
glaube, daß
- mich Gott«, fügte, während ihr Gesicht sich
aufklärte, rasch
- hinzu: »- geschaffen hat samt allen Kreaturen«,
war plötzlich
- auf glatte Bahn geraten und schnurrte nun, glückstrahlend
und
- unaufhaltsam, den ganzen Artikel daher, getreu nach dem
- Katechismus, wie er soeben, Anno 1835, unter Genehmigung
- eines hohen und wohiweisen Senates, neu revidiert herausge-
- geben war. Wenn man im Gange war, dachte sie, war es ein
- Gefühl, wie wenn man im Winter auf dem kleinen
Handschlit-
- ten mit den Brüdern den Jerusalemsberg hinunterfuhr: es
- vergingen einem geradezu die Gedanken dabei, und man
- konnte nicht einhalten, wenn man auch wollte.
- »Dazu Kleider und Schuhe«, sprach sie »Essen
und Trinken,
- Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh... « Bei
diesen
- Worten aber brach der alte Monsieur Johann Buddenbrook
- einfach in Gelächter aus, in sein helles, verkniffenes
Kichern,
- das er heimlich in Bereitschaft gehalten hatte. Er lachte vor
- Vergnügen, sich über den Katechismus mokieren zu
können,
- und hatte wahrscheinlich nur zu diesem Zwecke das kleine
- Examen vorgenommen. Er erkundigte sich nach Tony's Acker
- und Vieh, fragte, wieviel sie für den Sack Weizen nähme,
und
- erbot sich, Geschäfte mit ihr zu machen. Sein rundes,
rosig
- überhauchtes und wohlmeinendes Gesicht, dem er beim
besten
- Willen keinen Ausdruck von Bosheit zu geben vermochte,
- wurde von schneeweiß gepudertem Haar eingerahmt, und et-
- was wie ein ganz leise angedeutetes Zöpflein fiel auf den
- breiten Kragen seines mausgrauen Rockes hinab. Er war, mit
seinen
- siebenzig Jahren, der Mode seiner Jugend nicht untreu gewor-
- den; nur auf den Tressenbesatz zwischen den Knöpfen und
den
- großen Taschen hatte er verzichtet, aber niemals im
Leben
- hatte er lange Beinkleider getragen. Sein Kinn ruhte breit,
- doppelt und mit einem Ausdruck von Behaglichkeit auf dem
- weißen Spitzenjabot.
- Alle hatten in sein Lachen eingestimmt, hauptsächlich aus
- Ehrerbietung gegen das Familienoberhaupt. Madame Antoi-
- nette Buddenbrook, geborene Duchamps, kicherte in genau
- derselben Weise wie ihr Gatte. Sie war eine korpulente Dame
- mit dicken weißen Locken über den Ohren, einem
schwarz und
- hellgrau gestreiften Kleide ohne Schmuck, das Einfachheit und
- Bescheidenheit verriet, und mit noch immer schönen und
wei-
- ßen Händen, in denen sie einen kleinen, sammetnen
Pompa-
- dour auf dem Schoße hielt. Ihre Gesichtszüge waren
im Laufe
- der Jahre auf wunderliche Weise denjenigen ihres Gatten ähn-
- lich geworden. Nur der Schnitt und die lebhafte Dunkelheit
- ihrer Augen redeten ein wenig von ihrer halb romanischen
- Herkunft; sie stammte großväterlicherseits aus
einer franzö-
- sisch-schweizerischen Familie und war eine geborene
Hambur-
gerin.

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